Magie
„Wo die Zauberei herkommt? Das will ich dir sagen, aber verrate es nicht den Priestern, sie hören die Wahrheit nicht gern und würden dich mit ihrem bösen Fluch belegen. Die Zauberei kommt aus den Träumen des ersten Gottes. Er schuf die Welt, er ist die Welt, er gab ihr seinen Atem, aber jetzt schläft er tief und regt sich nicht mehr. Doch er träumt neue Träume von grosser Macht, und seine Träume kommen zu uns und bringen Veränderung mit sich. Die Träume des ersten Gottes sind die Quelle für alles Neue, das in die Welt kommt. Wer wahr sieht, der kann die Träume des ersten Gottes erkennen, und wer wahr handelt, der kann die Träume formen. Das nennen die Unwissenden Zauberei, wer aber die Wahrheit kennt, der nennt es Traumformen.“
- Der Schamane Trovoshchei
Es gibt wohl dreimal so viele Erklärungen, was Magie ist und woher sie stammt, wie es magische Traditionen gibt. Alle stimmen darin überein, dass Magie erlaubt, die Schöpfung zu verändern alleine durch Willen und rituelle Handlungen, und die meisten lehren auch, dass Magie die Manipulation der ursprünglichsten Form der Schöpfung ist.
Die ungezählten magischen Traditionen Valeriens und des Grenzgürtels entstammen verschiedensten Kulturen und bedienen sich unterschiedlichster Methoden; von einigen obskuren Traditionen hat nur eine Handvoll Kundiger gehört, andere besitzen Einfluss im ganzen Imperium. Weltliche Herrscher haben einige Schulen offiziell sanktioniert, andere werden aktiv unterdrückt, die meisten aber stillschweigend toleriert. Drei magische Traditionen werden vom Imperium selbst gefördert und verfügen auch über grosses Ansehen und Macht. Die bekannteste davon, ja die bekannteste magische Tradition unter den Menschen überhaupt hat ihren Sitz am Collegium Arcanum Elementarum in Trieston, und sie ist eine der einflussreichsten Gruppierungen des ganzen Imperiums. Ihre Mitglieder sind meist von adeliger Geburt und in hohen Positionen als Berater zu finden. Die hamari Quernars hingegen gelten als gesetzlose Aussenseiter, welche die Obrigkeit ausmerzen möchte.
Der breiten Bevölkerung scheint Magie geradezu allmächtig. Jeder kennt Geschichten von Magiern, die ganze Städte einebnen, Heere in Schweine verwandeln und Inseln in die Luft erheben. Heutige Zauberkundige belächeln diese Vorstellungen vielleicht öffentlich, wünschen sich aber insgeheim wohl, sie vollbringen zu können. Solche Taten sind mit Magie zwar durchaus möglich, doch war in den letzten zehn Generationen kein Magier mächtig genug, sie zu vollbringen. Aber auch wenn niemand zur Zeit dazu in der Lage ist, so kann mit Zauberei grundsätzlich alles vollbracht werden, ausser die fundamentalen Prinzipien der Schöpfung zu verletzen. Dazu zählen etwa die Unumkehrbarkeit der Zeit, die Trennung von Leben und Tod und die Entscheidungsfreiheit der Menschen. Schwarzfrevel ist verdorbene Hexerei, die ihre Kraft aus dem Bruch von Regeln bezieht und diese fundamentalen Prinzipien überwinden kann.
Neben den fundamentalen Prinzipien gibt es noch eine Einschränkung, was sich mit Magie erreichen lässt: der eigene Glaube daran, was möglich ist. Jeder Zauberkundige verlässt sich auf seine eigene Vorstellung der Welt als Fundament, auf dem seine Rituale beruhen, auf dem seine eigene Position in der Schöpfung abgestützt ist. Kein Zauber kann daher den tiefsten Vorstellung vom Wesen der Welt des Anwenders widersprechen. Magische Traditionen erklären immer auch die Welt auf ihre eigene Weise, durch ihr Dogma, und diese Erklärung bildet den Rahmen, in dem ihre Magie wirken kann; diesen Rahmen zu durchbrechen bedeutete, das Wirkungsprinzip der Magie aufzuheben. Die Rauchzauberer etwa lehren, dass die wahrgenommene Welt nur eine flüchtige Illusion ist; entsprechend können sie mit ihrer Magie nichts Permanentes in die Schöpfung bringen, doch das kreieren von Illusionen fällt ihnen leicht. Die imperialen Elementarmagier glauben, dass alles aus fünf unwandelbaren Elementen zusammengesetzt ist; also können sie nicht ein Element in ein anderes überführen, aber die wandelbaren Eigenschaften der Elemente verändern. Zugleich gibt das Dogma auch die nötigen rituellen Handlungen vor, um Magie zu wirken. Die hamari müssen tatsächlich Rauch mit ihren Händen formen, wobei der Rauch auch symbolisch für die flüchtige sinnliche Welt steht. Die Elementarmagier dagegen erklären, dass sich die Form der Elemente widerspiegelt in magischen Glyphen und Lauten, und sie müssen daher komplexe Muster zeichnen und Litaneien rezitieren, um den Elemente eine neue Form aufzuzwingen. Der Bereich, in dem die Magie einer Tradition wirkt, den Teil der Schöpfung, den sie formen kann, ist ihre Domäne. Die grundsätzlichen rituellen Handlungen sind ihre Methode. Die konkreten Effekte, die erzielt werden können, und die spezifischen Rituale dazu machen die kodierten Zauber aus.
Das Lernen von Magie ist aufwendig. In manchen Traditionen kann ein Lehrling damit rechnen, nach ein oder zwei Monaten den ersten kleinen Zauber zu wirken; in den meisten dauert es wesentlich länger. Selbst einen Meister der Magie kann es Monate kosten, einen komplexen Zauber zu lernen, und es dauert oft Jahre, einen besonders mächtigen Zauber zu entwickeln. Ein Meister der Magie ist ungeheuer mächtig und vermag mit seinen Fähigkeiten die Welt zu erschüttern; das gleiche kann aber auch von einem Herrscher, Feldherrn oder Händler gesagt werden, der es in seinem erwählten Gebiet zu Meisterschaft und Erfolg brachte, der ebenso viel Zeit investierte und ebenso grosse Opfer brachte. Natürlich ist es nicht Machtstreben allein, dass Zauberkundige antreibt, sondern öfter noch Wissensdurst und Neugier, Glaube und Überzeugung.
Wie nicht jeder die gleiche Begabung zum Musizieren hat, so hat nicht jeder die gleiche Begabung für Magie. Aber wie das Musizieren kann grundsätzlich jeder Mensch Zauberei lernen. Es gibt alte Legenden von wilden Magiern, die schon als Kind zaubern konnten, ohne jegliche Ausbildung, und denen Magie so unmittelbar war wie Atmen und Gehen. Seit der Begründung der Valerischen Allianz aber wurde von keinem derartig begabten Kind mehr berichtet, und die Magier tun ihre Existenz nur als eine weitere Mär über Zauberei ab.
Da Magie einerseits intensives Studium erfordert, andererseits aber auch einzigartige Möglichkeiten verspricht, erstaunt es nicht, dass viele der akzeptierten Traditionen von Adligen und Aristokraten dominiert werden. Häufig werden die jüngeren Kinder eines Adelshauses, Mädchen wie Knaben, an eine magische Schule geschickt, um dann Jahre später ihre Kenntnisse in den Dienst der Familie zu stellen. Jedes bedeutende Haus verfügt über einige Zauberkundige in seinen Reihen, und selbst Magier von gemeiner Herkunft können damit rechnen, eine einflussreiche Stelle als Berater eines Fürsten oder Senatoren zu finden. In manchen Provinzen gilt zwar das alte Gesetz, dass kein Zauberkundiger herrschen darf, doch selbst in diesen finden sich Magier in höchsten Positionen.
Für die Mechanika ist Magie unerlässlich. Herzstück jeder Maschine ist der Arkane Konverter, der mittels Magie eine Energieform, etwa Hitze, in eine andere umwandeln kann, etwa Bewegung. Auch die Übertragung von Energie geht am besten mittels magischer Leiter, und komplexe Steuerungen sind ohne Magie gänzlich undenkbar. Um solche magischen Bauteile zu verwenden, muss man kein Zauberkundiger sein, wohl aber, um sie herzustellen. Viele Traditionen kennen Rituale, um Mechanika herzustellen. Einige, wie etwa die Imperiale Arkano-Mechanische Akademie in Valeor, haben sich gar gänzlich darauf spezialisiert und kennen gar keine andere Form der Magie mehr; ihre Praktikanten werden Inventores genannt. Es gab übrigens schon Versuche, Maschinen ohne magische Bauteile zu bauen, doch die waren alle lächerlich ineffizient, und es ist ausgeschlossen, dass Maschinen ohne Magie vernünftig funktionieren könnten.