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odul

Odul


“Der Meeresgott der Menschen ist ein seltsamer Fisch, mehr interessiert an Liedern als am Meer, ein Titanenabkömmling und ein schwermütiges Weichei noch dazu. Unbegreiflich, dass Seeleute ihn verehren, aber die müssen sowieso verrückt sein, in Nussschalen aufs Meer raus zu fahren.“
- Zugeschrieben dem zwergischen Priester Luggwosch

Aus dem Lied des Meeres:
„Es kamen die Tage ohne Sonne und Mond über die Schöpfung, da der Herr Morenu und die Königin Epsis wider die Götter von Orokul in die Schlacht zogen. Des Herrn Morenu Getreuen begleiteten ihn, und nur Odul und sein Bruder Ignul blieben zurück. Denn die Söhne des Gromdolkur waren nicht kriegerisch, und der Herr Morenu gebot ihnen, über das Diesseits zu wachen derweil er fort sei.
In des Herrn Morenu Abwesenheit erhob sich nun der gewaltige Leviathan. Lange hatte die grässliche Bestie in den dunklen Tiefen der Meere sich versteckt vor dem König des Diesseits, und sie sah nun ihre Stunde gekommen und trachtete nach der Zerstörung allen Landes. Kontinente zerschlug der Leviathan und ertränkte ganze Völkerscharen, und das ganze Diesseits drohte er unter Sturm und Flut zu versenken.
Auf einen sturmumtosten Felsen im Meer trat da Odul, gewappnet einzig mit seiner Lyra, und er stimmte einen wundervollen Gesang an. So klar und schön und bittersüss war dies Lied, dass selbst das tobende Meer innehielt und lauschte, und Ruhe und Klarheit begannen sich auszubreiten von Oduls Felsen. Die Fische der Tiefe kamen an die Oberfläche und die Vögel des Himmels glitten hinunter, um zu lauschen diesem Liede. Weiter und immer weiter trug Oduls Gesang, denn wo immer er hinkam, da schwand jeder andere Laut, und bis zum Horizont und darüber hinaus war nur noch zu vernehmen das wunderbare Lied, und alles lauschte wie gebannt.
Als der Leviathan gewahrte, wie rund um Oduls Felsen die Schöpfung ruhte und kein Sturm und keine Flut war, da erwachte sein Zorn, und er sandte den tobendsteen Sturmwind, Odul zu zerschmettern. Doch Odul sang von der reinen Luft des ersten Morgens, und der Sturmwind lauschte und ruhte. Da schwoll des Leviathans Zorn, und er sandte die mächtigste Flut, Odul zu ertränken. Doch Odul sang von der stillen See unter dem ersten Mittag, und die Flut lauschte und ruhte. Da loderte des Leviathans Zorn, und er kam selbst mit seiner schrecklichen Gewalt zu Oduls Felsen, Odul zu vernichten. Doch Odul sang von der friedlichen Ruh des ersten Abends, und selbst der mächtige Leviathan konnte sich dem Klang des Liedes nicht verwehren. Sanfter Schlaf kam über den Leviathan, und sein hasserfüllter Zorn schwand. Zurück in die dunkelsten Tiefen sank der Leviathan, und das Wüten des Meeres endete.
Und wenn immer der Leviathan sich regt und sein Schlaf unruhig ist, wenn das Meer von Stürmen heimgesucht wird und das Land von Fluten bedroht, dann erklingt erneut Oduls Lied. Über das Tosen des Windes hinweg streitet es wider des Levathans Zorn, um zur Ruhe zu bringen das Meer und zu bewahren das Diesseits. Wenige Sterbliche nur haben je vernommen dieses Lied, den seine Reinheit ist des Menschen Ohr fremd und unvertraut, viele aber spüren seine Wirkung. In die Herzen trägt es stille Freud und Wehmut und Liebe zum Meer.“


Odul ist der Gott des Wassers und der Dichtkunst. Er ist der Herrscher der lichten See, der Sänger wider den Sturm, der Meister des Lieder. Er steht zur Linken des Herrn Morenu und zählt zu den Sieben Getreuen. Er ist der Bruder des Ignul, der Sohn des Gromdolkur und einer der Götter des Tritheons.

Unter die Götter des Tritheons stieg Odul auf, als er Morenu half wider seinen eigenen Vater. Und auch wenn es Unrecht ist und verwerflich, wenn der Sohn den Vater verrät, so geschah Oduls Tat in hehrer Absicht, und keine Treue schuldete er dem spöttischen Tyrannen Gromdolkur.

Seit den Tagen ohne Sonne und Mond wacht Odul über die Meere und herrscht in ihnen, soweit das Licht der Sonne dringt. Sein ewiger Feind ist der Leviathan, der titanische Herrscher über die dunklen Tiefen.Wenn der Leviathan das Meer aufwühlt und Sturm und Flut sendet, dann ist es Oduls Lied, welches die See wieder beruhigt. In jedem Sturm drückt sich der uralte Streit zwischen Odul und Leviathan erneut aus, und bisher siegte letztlich noch immer der Sänger.

Selbst wenn Odul ein Lied beendet hat, so lebt es weiter im Meer. Manche Sterbliche können diese Lieder hören oder zumindest erahnen in den Geräuschen des Meeres; sie wecken in ihren Herzen ein wehmütiges Sehnen und Liebe zur See. Man sagt von Seeleuten, die das Meer über alles lieben, sie hätten Oduls Lied gehört. An zerklüfteten Felsenküsten und in starker Brandung, wenn das Meer rauscht und gurgelt und klingt, soll Oduls Lied besonders gut zu hören sein, und deshalb werden viele Bewohner solcher Küsten Seefahrer. Manche Seefahrer lernen gar, feinste Variationen in den Klängen des Meeres zu unterscheiden und danach zu navigieren.

Odul ist von ruhigem, sanftem Wesen und neigt zur Schwermut. Noch nie hat er eine Waffe geführt, vielmehr verlässt er sich auf seine Zauberlieder, um sich zu schützen. Allerdings fliesst in Oduls Adern der Titanen Blut, und manchmal treibt es ihn in dunkelste Laune. Dann kann urplötzlich eine kalter Zorn über Odul kommen, und er stimmt den schrecklichen Sturmsang an, der das Meer aufpeitscht und starke Winde entfacht, wie es sonst nur der Leviathan vermag. Dies sind die mächtigsten aller Stürme, denn sie werden von nichts und niemandem gehemmt, und sie können ganze Flotten und Städte verschlingen; in dieser Laune kennt Odul für die Sterblichen nur Gleichgültigkeit und Geringschätzung. Angekündigt werden diese Stürme von unnatürlich ruhiger, tiefschwarzer See, die man Odulsruh nennt, und die jeder Seemann zu erkennen und fürchten weiss.

Odul kümmert sich kaum um die meisten Sterblichen. Sein Wohlwollen gilt jenen, welche die See so lieben wie er selbst, und Dichter und Sänger stehen in seiner Gunst. Ihnen schickt Odul Inspiration, den Seefahrern hilft er in der Not. Viele Geschichten erzählen von Poeten, die nicht die rechten Worte fanden, bis sie einmal am Meer spazierten und seinen Klängen lauschten. Andere berichten von sturmgeplagten Schiffen, die plötzlich in ruhiges Wasser fuhren, über dem ein wunderbares Lied lag, oder von ertrinkenden Matrosen, welche fremdartige Töne hörten unter Wasser und dann von grossen Walen gerettet wurden.

Wenn Schwermut ihn überkommt, dann zieht sich Odul auf ein einsames Eiland zurück, um sich dort ganz seiner Kunst hinzugeben. Sagen berichten von Seefahrern, die an unbewohnten Küsten einen einsamen Sänger trafen und von ihm gebeten wurden, ihn an andere, oftmals fremdartige Gestaden zu bringen. Jene, die seinen Wunsch erfüllten, warden stets reich belohnt, wenn auch nicht immer in irdischen Güter; jene Narren aber, die ihn nach seiner Herkunft fragten oder gar seinen Namen nannten, zogen sich seinen Unmut zu und warden fürchterlich bestraft.

Dargestellt wird Odul als schlanker junger Mann mit melancholischem Ausdruck und feinen Händen. Er hält stets seine wundermächtige Lyra, und meist trägt er seinen Mantel aus den Mähnen von Seepferdchen.

Viele der friedlichen und schönen Tiere des Meeres sind dem Odul lieb, vor allem Delfine und die bunten Fische der Korallenriffe. Seine heiligen Tiere sind die Seepferdchen, die im Mondlicht zu Oduls Lied tanzen, und die grossen Wale, die Odul beistehen wider die Kreaturen des Leviathan, und die mit ihren Stimmen in Oduls Gesang einstimmen.


Der Kult des Odul


An jeder Küste ist die Verehrung Oduls stark verbreitet und auch unter Dichtern, Sängern und Musikern. Viele Fischer und Seefahrer grüssen Odul, wann immer sie ihr Schiff betreten, und das gleiche tun viele Künstler, wenn sie vor ihr Publikum treten. Zieht ein Sturm auf, so sprechen Seeleute ein Gebet, welches Odul unterrichten soll, dass sein Gesang gebraucht wird. In jedem Hafen findet sich mindestens ein kleiner Schrein für Odul.

Die Kirche Oduls, oft einfach „der Chor“ genannt, ähnelt in ihrem Aufbau jener Morenus und kennt nur vier Ränge: Sänglinge sind Initianten, die noch nicht die Priesterweihe empfingen und den Priestern eines Tempels dienen. Gewöhnliche Priester werden „Stimmen“ genannt und leiten entweder selbst einen kleinen Tempel oder dienen in einem grossen Tempel unter einer Leitstimme, einem Hohepriester. An der Spitze der Kirche steht das Echo der See, gewählt von der Versammlung der Leitstimmen. Das Echo der See und vier Leitstimmen haben auch den Rang eines Primarchen inne. Um in der Hierarchie aufzusteigen, muss ein Priester nicht nur starken Glauben und Klugheit besitzen, sondern auch eine schöne Stimme und eine poetische Ader. Die Priesterschaft Oduls steht Männern und Frauen gleichermassen offen, aber einzelne Tempel neigen dazu, das ein oder andere Geschlecht gemäss der benötigten Stimmlagen vorzuziehen.

Die Priester Oduls üben ihr Amt oft nur als Nebentätigkeit aus. Viele der sesshaften Sänglinge, Stimmen und Leitstimmen sind auch Fischer oder Sänger. Ein grosser Teil der Stimmen ist auf Schiffen zu finden, wo sie oft als einfache Matrosen angeheuert haben. Jede Besatzung schätzt sich glücklich, einen Priester Oduls in ihren Reihen zu haben, denn die Stimmen sind nicht nur hervorragende Seefahrer, sondern auch geübte Sänger und Geschichtenerzähler, und ihre Anwesenheit soll Oduls Wohlwollen sichern.

Natürlich muss jeder Priester Oduls eine Liebe zur See und zur Sangeskunst besitzen. Viele sind ehemalige Seeleute und von pragmatischem Wesen, aber die meisten besitzen einen Hang zur Schwermut. Es finden sich einige regelrechte Melancholiker unter den Stimmen, und sie sollen die schönsten aller Lieder schreiben, da sie von Odul besonders inspiriert werden. Viele Geschichten berichten von Wundern, die Priester Oduls mit einem Lied wirkten, meist zum Schutz vor Sturm, Ertrinken oder Titanenbrut. Es heisst, die Stimmen könnten in der Not an Oduls zaubermächtigem Gesang teilhaben.

Das wichtigste Element jeder kultischen Handlung des Chores ist Gesang, und Gottesdienste werden fast vollständig gesungen. Jeder Tempel hat seine eigene Sammlung von Liedern zu diesem Zweck, zumeist geschrieben von seinen Priestern. Diese Liedersammlungen variieren entsprechend stark zwischen einzelnen Tempeln. Gemeinsame Grundlage von allen ist der Gesang des Meeres, eine Sammlung von Liedern und Sagen über die Werke und Herrlichkeit Oduls.

Es gibt keine Regel für regelmässige Gottesdienste Oduls. Grosse Tempel mit vielen Stimmen führen üblicherweise ein- oder gar zweimal täglich einen Gottesdienst durch, während kleine Tempel mit nur einer Stimme oder auch wandernde Stimmen auf Schiffen dies vielleicht ein- oder zweimal pro Woche tun. Jeder Tempel aber hält die Sturmwacht ab wenn ein Sturm aufzieht: Vom Tempeldach herab wird ein lautes, warnendes Lied gesungen, um die Bevölkerung vor der Gefahr zu warnen. Während der Sturm tobt, muss im Tempel andauernd Oduls Schutz gesungen werden; dieses Lied soll vor des Leviathans Wüten bewahren. Für einen einzelnen Priester kann dies während eines langen Sturmes äusserst anstrengend werden, und oft lösen ihn die örtlichen Gläubigen zeitweise ab, um ihm eine Pause zu ermöglichen. Auch Priester auf Schiffen führen die Sturmwacht durch, und es ist unter Seeleuten bekannt, dass sie der sicherste Schutz vor dem Sinken eines Schiffes ist.

Die Kirche Oduls ist im Grenzgürtel sehr stark vertreten, wenn sich hier auch nur wenige Leitstimmen und kein einziger Primarch finden. Gerüchten zufolge soll aber die Primarchin Creannan, Leitstimme von Atyersus, eine Verlegung ihres Sitzes nach Gehenna planen. Die Tempel im Grenzgürtel sind bekannt dafür, dass ihre Liedersammlungen oft zu einem grossen Teil aus einfachen Seemannsliedern bestehen und ihre Stimmen über wenig Bildung verfügen. Entsprechend steht der Chor des Grenzgürtels in Valerien im Ruf, derb und ungehobelt zu sein. Umgekehrt gelten die Odulpriester der Valerischen See oft als abgehoben und prätentiös und ihre Lieder als unnötig komplex, verschnörkelt und unzugänglich. Tatsächlich haben sich vor allem im Süden und Osten Valeriens strenge formale Regeln entwickelt, denen ein Lied genügen muss, um von einem Tempel des Odul in seine Sammlung aufgenommen zu werden.

Die Kirche Oduls vertritt die entschiedene Auffassung, dass alle Kirchen des Tritheons stark und einig sein sollten zum Schutz der Menschenheit, und bei Streitereien innerhalb des Tritheons nimmt der Chor stets eine schlichtende Rolle ein. Traditionell steht die Kirche Oduls jener Morenus nahe und unterstützt üblicherweise deren Position. Gemeinsame Gottesdienste sind häufig, und Morenupriester sind von ihrer Kirche angehalten, an jeder Sturmwacht teilzunehmen. Die wachsende Kluft zwischen Modernisten und Orthodoxen unter Morenus Priesterschaft bereitet dem Chor grosse Sorgen; er hat sich zwar bisher aus diesem Streit bewusst herausgehalten, doch soll das Echo der See vor einigen Monaten begonnen haben, mit beiden Seiten Gespräche zu führen und auf eine Aussöhnung hin zu arbeiten.


Weitere Sagen aus dem Gesang der See:

odul.txt · Zuletzt geändert: 2018/07/29 18:17 von 127.0.0.1