Die Quarenser
„Und nach Anhörung des Jenestar fällten die Ehrwürdigen Primarchen ihr Göttergefällig Urteyl ob der eigentümlich Lehre der Quarenser, und es sey Kundt getan und zu wissen: Die Primarchen befanden einhellig, dass die Lehre der Quarenser sey keine Häresie und keyn Schwarzfrevel, sondern sey bloss närrisch und verrückt.“
- Aus dem Erlass des Konzils von Ullborn
„Stellt euch vor, ihr steigt auf einen hohen Turm. Lange und beschwerlich ist der Aufstieg, doch Oben angekommen seht ihr weit und klar. Ihr fühlt euch erhaben über die Niedrigkeiten des Lebens. Herunter kommt ihr von alleine, wenn ihr wollt. Ihr müsst euch nur fallen lassen. Wie einfach ist doch das Fallen! Aber Unten am Boden werdet ihr zerschmettert.
So ist es mit allem: Oben ist erhaben, aber schwer zu erreichen, und nach Unten kommt man ohne Anstrengung, aber man hat nichts davon. Die Hohen Götter leben im Himmel und schauen von Oben auf das Diesseits. Im Boden Unten hingegen liegen die toten Titanen, die besiegten Feinde der Götter. Und auch Bäume und Blumen und Korn wachsen nach Oben. Auch sie wollen weg vom Boden, weg von Unten.“
- Aus einer Predigt Jenestars, genannt der „Erhöhte Prophet“
„Es mag erstaunen, dass sich der quarensische Kult, welcher dem Boden und seinen Aktivitäten derart feindlich gesinnt ist, sich ausgerechnet in Gelbwasser findet, wo jene Aktivitäten besonders stark sind. Doch scheint es, dass die Quarenser dadurch besändig an ihren Glauben erinnert und in ihm bestätigt werden, dass sie ihren Feind derart offen sehen können.“
- Aus den Aufzeichnungen Olcurs des Reisenden
Auf einigen Inseln des Grenzgürtels finden sich die Quarenser, Mitglieder einer gelinde gesagt eigenwilligen Glaubensgemeinschaft. Der Kern ihres Glaubens lässt sich in einem Satz fassen: Oben ist gut, Unten ist schlecht. Sie unterwerfen ihr Leben und Denken gänzlich diesem Dogma, wenn sie auch ansonsten das Tritheon verehren. Der Kult beruht auf den Lehren des Erhöhten Propheten Jenestar, der um 200 herum in Kanderland predigte.
Das Leben der Quarenser ist geprägt von ihrem Abscheu vor Unten, vor dem Boden, und zugleich von ihrem Streben, Unten zu beherrschen. So können sie ihre Höhe, also ihre Überlegenheit über Unten, beweisen. Daher sind die Quarenser leidenschaftliche Bauern und Fischer, welche Nahrung von Unten nach Oben bringen. Allerdings ist den Quarensern verboten, etwas zu essen, was aus dem Dreck ausgegraben wurde. Der Erhöhte Prophet Jenestar war übrigens auch bekannt für seinen brennenden Hass auf Rüben.
Da sie das Streben nach Oben auch im übertragenen Sinn sehr ernst nehmen, besitzen Quarenser eine starke Arbeitsmoral und grosse Lernbereitschaft. Körperliche Arbeit und ein besseres Verständnis der Welt, so glauben sie, lässt sie das Unten meistern. Entsprechend sind die Quarenser auch begeistert von Mechanika, vor allem, wenn diese einen alltäglichen praktischen Nutzen haben. Eine Maschine etwa, die beim Pflügen des Feindes Boden hilft, ist für einen Quarenser in jedem Sinne eine Gabe der Götter.
Die Quarenser bauen ihre Wohnhäuser immer mindestens zweistöckig, wenn möglich auch höher. Das niedrige Erdgeschoss dient dabei nur als Aufbewahrungsort sowie zur Reinigung: Jedermann, der in die oberen Stockwerken gelangen will, muss sich zuerst im Erdgeschoss einer rituellen Reinigung unterziehen sowie seine Schuhe und schmutzigen Überkleider wechseln. Der Dreck des Bodens Unten darf auch keinen Fall in den Wohnbereich Oben gelangen.
Quarenser unterscheiden strikt zwischen Arbeits- und Reinkleidern. Erstere sind meist erdfarben und werden für jede Betätigung getragen, bei der Kontakt mit Erde und Dreck unvermeidlich ist. Die Arbeitskleider dürfen nicht in den Wohnbereichen getragen werden. Die Reinkleider dagegen sind meist recht bunt und nie braun oder schwarz, und die Quarenser tragen grosse Sorge, dass sie nicht schmutzig werden. Es gilt unter Quarensern als höflich und respektvoll, anderen Menschen in Reinkleidern entgegen zu treten, und so erkennt man Quarenser in Städten leicht an ihrer farbenfrohen Kleidung. Dies hat ebenfalls dazu beigetragen, dass viele die Quarenser für närrisch halten.
Ihre Toten beerdigen die Quarenser nicht, und sie führen auch keine Feuerbestattungen durch. Sie glauben, dass der Körper auf, nicht unter die Erde gehöre., und dass er nicht als Rauch zusammen mit der von den irdischen Fesseln befreiten Seele nach Oben steigen soll. Daher errichten die Quarenser grosse Totenhallen. Diese sind zwar einstöckig, aber auf Pfählen errichtet, und in ihnen werden die Toten in mit Bienenwachs versiegelten Särgen beigesetzt.
Da die Quarenser das Tritheon als Herrscher über Oben verehren, wurde beim Konzil von Ullborn im Jahre 209 entschieden, dass ihr Kult keine Häresie sei. Von den meisten Klerikern und Gläubigen werden sie allerdings nicht sonderlich ernst genommen. Nachdem mehreren Quarenser der Zugang zu theologischen Schulen verwehrt wurde, ordnete die Matriarchin Rilcanna 242 an, dass Quarenser nicht aufgrund ihres Glaubens von den Schulen der Epsis ausgeschlossen werden dürfen. Seither finden sich in fast allen Siedlungen der Quarenser Epsispriesterinnen, die sich auch um quarensische Beisetzungen und den Unterhalt der Totenhallen kümmern.
Trotz der formalen Akzeptanz durch das Tritheon sahen sich die Quarenser immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Der Grund dafür liegt in ihrer Ablehnung jeglicher weltlicher Herrscher: Da alle Menschen gleichermassen an das Unten gebunden sind, solle keiner über den anderen Menschen stehen. In ihren Dörfern folgen die Quarenser zwar üblicherweise den Ältesten, einem fernen Adligen oder Senator hingegen beugen sie sich nicht. Sie bezahlen keine Steuern und sehen Schmuggeln als religiöse Pflicht – kein Wunder, dass sie in Kanderland und ganz Valerien von der Obrigkeit verfolgt wurden. Fast alle Quarenser flohen daher nach Gründung des Imperiums in den Grenzgürtel, um hier ein ungestörtes Leben nach ihren Prinzipien führen zu können. Viele von ihnen kämpften mit grosser Leidenschaft im Krieg gegen das Imperium, und danach zogen sie sich zumeist in versteckte Gegenden zurück.